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Bisher unveröffentlichte Dokumente belegen: Nazis waren schon vor 1933 in Bad Doberan aktiv


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Die OSTSEE-ZEITUNG Bad Doberan berichtete am 1. April 2023:

Ausstellung im Möckelhaus

Bisher unveröffentlichte Dokumente belegen: Nazis waren schon vor 1933 in Bad Doberan aktiv

Werner Geske 01.04.2023


Martin Heider, Kustos des Doberaner Münsters, und Zeitzeugin Gerda von Hof können belegen, dass die Nationalsozialisten bereits in den 1920er Jahren in der Münsterstadt aktiv waren. Eine Ausstellung im Möckelhaus widmet sich dem düsteren Kapitel deutscher Geschichte.

Bad Doberan. Noch bis zum 29. April zeigt das Stadt- und Bädermuseum eine Sonderausstellung unter dem Titel „90 Jahre Machtergreifung“. Diese Exposition schildert, wie sich die Machtübernahme der Nationalisten 1933 in der Münsterstadt vollzog. Ergänzt wurde sie mit einer Gesprächsrunde im Möckelhaus. Dabei machten Gerda von Hof (87) und Münster-Kustos Martin Heider (52) mit einem Stück ihrer Lebensgeschichte und profunden historischen Kenntnissen die Geschehnisse jener Zeit noch plastischer.

Martin Heider war bei seiner Suche nach einer Antwort auf die Frage, weshalb die Nazis in Bad Doberan bereits vor 1933 so einflussreich werden konnten, in der Pfarrchronik der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde, in Zeitungsbeiträgen, in Unterlagen des Stadtarchivs und in der Deutschen Fotothek auf Dokumente gestoßen, die die Ereignisse vor 90 Jahren teilweise in neuem Licht erscheinen lassen. Als Beispiel dafür zitierte Heider aus bisher unveröffentlichten Aufzeichnungen, die belegen, wie der erstarkende Nationalsozialismus in Bad Doberan von kirchlicher und amtlicher Seite gesehen wurde.

Zunahme völkischer Veranstaltungen ab 1924

So registrierten die schriftlichen Quellen schon ab 1924 eine bedeutende Zunahme völkisch-nationalistischer Veranstaltungen in der Münsterstadt. Darunter der Bundestag der Adler und Falken, einer rechten Jugendorganisation, im Juli 1924 und regelmäßige Treffen der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung sowie anderen extremen Gruppierungen. Diese Entwicklung kulminierte in der Gründung der Ortsgruppe der NSDAP im Oktober 1930.

Ein Jahr später, im Mai 1931, so ist den kirchlichen Aufzeichnungen zu entnehmen, gelang es den Nationalsozialisten mit Korruptionsvorwürfen, die Stadtverordnetenversammlung aufzulösen und eine Neuwahl des Bürgermeisters zu erzwingen. Dank der auf sie entfallenden 991 Wählerstimmen konnten die Nazis dieses Amt mit einem Mann aus ihren Reihen besetzen.

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Nazis übernahmen Bürgermeisterposten

Zunehmend verschärften die Nazis auch ihren Terror gegen die linke Arbeiterschaft und liberale Kräfte. Ausdruck dafür war die Ermordung von Arbeitern wie Heinrich Klöcking (1. November 1931) und Ernst Wolff (19. Februar 1933). Unter Ernst Barten, einem der ersten deutschen Nazi-Bürgermeister, trug die Stadt bereits 1932 Hitler die Ehrenbürgerschaft an, die diesem am 15. August des Jahres verliehen wurde. Ein Akt, der so früh nur in wenigen deutschen Kommunen vollzogen wurde.

Als Adolf Hitler am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wurde, begingen auch in Doberan seine Anhänger diese „nationale Wende“ mit einem Fackelzug und einer „packenden Ansprache“ des NSDAP-Ortsgruppenleiters.

Fragen, die die Runde im Möckelhaus bewegten: Weshalb bot gerade Bad Doberan dem Nationalsozialismus einen solchen Nährboden? Weshalb wechselten viele unmittelbar nach der Machtergreifung die Seiten? Erschöpfende und überzeugende Antworten gab es darauf nicht. Nur Vermutungen: Ein Grund könnte im hohen Anteil national-konservativer Kräfte liegen. Ein weiterer in der großen Bereitschaft der Mittelschicht, den Versprechungen der Nazis zu glauben. Auch dass die hohe Arbeitslosigkeit den Nazis in die Karten spielte, ist nicht von der Hand zu weisen.

Feldpostbriefe des Vaters bewegen Publikum

Allerdings, so meinte Gerda von Hof, Tochter des Doberaner Lebensmittelhändlers Max Schwelgengräber, sei nach ihrer Kenntnis die Zahl der fanatischen Nazi-Anhänger in Bad Doberan relativ gering gewesen sei. Dass auch ihre Eltern diesem System negativ gegenüberstanden, belegte sie mit einzigartigen Dokumenten aus dem persönlichen Besitz. In stenografierten Feldpostbriefen, die ihr Vater von der Ostfront an die Mutter schickte, hatte er sich teilweise unverblümt über die Aussichtslosigkeit und den Wahnsinn dieses Krieges geäußert. Zeugnisse, die von den Zuhörern mit innerer Bewegung aufgenommen wurden.


Foto 1: Mit bewegenden Feldpostbriefen ihres Vaters trägt Gerda von Hof zur Aufarbeitung der Geschichte Bad Doberans zur Nazizeit bei. © Quelle: Sabine Hügelland
Foto 2: Gesprächsrunde im Bad Doberaner Museum mit Gerda von Hof (vorne) und Martin Heider zur Machtergreifung durch die Nazis 1933. © Quelle: Werner Geske

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