Die friedliche Übergabe Bad Doberans Anfang Mai 1945


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Am 8. Mai 2025 war anlässlich von 80 Jahre Kriegsende ein Zeitzeugengespräch im Gemeindesaal. An diesem besonderen Jubiläum wurde u.a. gefragt: Wie wurde das Kriegsende in Bad Doberan erlebt? Wie konnte die Stadt an die sowjetischen Truppen übergeben werden? Wie ist das Leben (weiter) verlaufen?

Vorgestellt wurde auch das wohl wesentlichste Dokument zu den Ereignissen am 1. und 2. Mai 1945. Es handelt sich um eine beglaubigte Abschrift, in der Schlachtermeister Karl Schröder nur wenige Monate nach Kriegsende die Abläufe schildert. Er war entscheidend an der friedlichen Übergabe Bad Doberans an die sowjetische Armee beteiligt. Verschiedene weitere Berichte entstanden im Gegensatz zu diesem oft erst Jahrzehnte später im Rückblick.

Die Transkription der Akte aus dem Stadtarchiv Bad Doberan

Beglaubigte Abschrift. / Niederschrift.

Vorgeladen erschien der Schlachtermeister Karl Schröder, Bad Doberan, Baumstrasse, und gibt, befragt über die Vorgänge am 1. Mai 1945 in Doberan die nachstehenden Auskünfte:

[01.05.1945]: Am 1. Mai 1945 war ich morgens bis 9 Uhr in meinem Laden tätig. Dann wurde ich von dem Dentisten Porthun geholt, der zu mir als Privatmann (nicht in meiner Eigenschaft als Volkssturmführer) kam und mir sagte, Kittmann hatte die Panzersperren besetzen lassen, der Auftrag sei an die Hitlerjugend ergangen. Ich bin daraufhin mit aufgekrempelten Armen und der Schlachterschürze sofort ins Rathaus zu Kittmann gegangen. Kittmann sass in Zimmer 9 und telefonierte mit Wismar. Ich stellte ihn auf plattdeutsch zur Rede, ob er die Panzersperren mit der Hitler-Jugend (HJ) besetzt hätte. Zunächst bekam ich keine Antwort, weil K. ziemlich angetrunken war. Dann sagte er mir: ,Dat geht Di gornix an.‘ Währenddessen kam der Zimmermeister Peters in Volkssturmuniform ins Zimmer. Schlott, Behrens, Polmann, Hennings waren ausserdem alle in Uniform in gleichen Raum anwesend. Ich wandte mich an Vietz Peters mit den Worten: ,Ich gebe Dir den Befehl, die Panzersperren sofort zu räumen. Um 11 Uhr will ich Meldung haben, dass die Panzersperren frei sind.‘ Daraufhin ging ich zurück in den Laden.

Um 11 Uhr meldete mir Vietz Peters die Panzersperren frei. Bei dieser Gelegenheit bat mich Peters um einen Urlaubschein, damit er seine Familie nach Reinshagen in Sicherheit bringen könnte. Ich gab ihm den Schein und Peters kam nicht wieder.

Nachmittags gegen 15 Uhr ging ich wieder ins Rathaus (in zivil). Bei dieser Gelegenheit brachte mir eine Nachbarin von 

Kittmann, eine Dänin, Meldung, dass Kittmann in seinem Vorgarten ein Maschinengewehr schussbe-reit aufgestellt hätte. Daraufhin geriet ich in Zorn und habe wohl ziemlich herumgebrüllt, er dürfe doch nicht Doberan vernichten. Ich ging mit Dr. Brandt und einem etwa 60jährigen Herrn Awe zu-sammen nach Kittmanns Wohnung. Ich trug eine Pistole 635 mm, die mir morgens Porthun gegeben hatte, in der Tasche. Wir gingen an der Kirche vorbei gegen den Buchenberg zu und an der Mauer entlang in Richtung von Kittmanns Wohnung. Gegen 1/2 4 Uhr waren wir an Kittmanns Haus. Draussen war niemand zu sehen.

Ich ging in den Vorgarten, nahm das MG weg und übergab es Awe, der es in das Rathaus bringen sollte. Als wir eben den Garten verlassen hatten, kam Kittmann in Parteiuniform aus der Tür und schrie: ,Lat dat MG hier.‘

Inzwischen waren Dr. Brandt und Awe zurückgegangen und in den schmalen Durchgang zwischen den Hecken nach dem Pfarrkoppelweg zu abgebogen. Ich rief Kittmann zu: ,Du Lump!‘ und schoss aus der kleinen Pistole aus etwa 25 m Entfernung auf Kittmann, jedoch ohne ihn zu treffen. Kitt-mann zog sich ins Haus zurück. Daraufhin kam sein Sohn, ein Leutnant der Panzertruppe aus dem Haus und gab aus einen MP 10 Schuss auf mich ab. Ich konnte mich dadurch, dass ich mich hinter ei-nen der dicken Bäume stellte, vor diesen Schüssen retten. Der Sohn war hinter der grossen Hecke am Kittmannschen Haus in Anschlag gegangen.

Ich ging daraufhin ins Rathaus zurück. Gegen 18 bis 18.30 Uhr brachte der Maler Hennig-Hennings die Meldung, dass das [RAD-]Arbeiterdienstlager am Stülowerweg verteidigt werden sollte. Ich trat daraufhin vors Rathaus und rief: ,10 Mann nehmen je ein Gewehr‘, und wir sind dann losmarschiert.

Bei dieser Gruppe waren, soweit mir erinnerlich, auch der Zimmermeister Fahs und der Kaufmann Heinrich Siems. Im Arbeitsdienstlager hatte ich eine kurze Auseinandersetzung mit dem Arbeits-dienstführer Sellschop, der mir aber später auf meine Vorhaltungen das Lager übergab und mich da-raufhin aufmerksam gemacht hat, dass ein anderer fremder Arbeitsdienstführer, der mit seiner Gruppe auf dem Rückzug hier eingetroffen war, bereits im Anschlag mit 10 Jungen mit Panzerfäus-ten und MG lag, um sich zur Wehr zu setzen. Sellschop vermittelt auch die Verhandlung zwischen mir und dem anderen Offizier, einem goldenen Parteiabzeichenträger, der noch für Hitler sterben wollte. Nach 10 Minuten Verhandlung wurde folgende Uebereinkunft getroffen: Es wurde zur Bedingung ge-macht, dass die Gruppe bis 3 Uhr morgens im Arbeitsdienstlager verbleiben könnte und dann zu ver-schwinden hätte.

Daraufhin ging ich ins Rathaus zurück. Zwischen 22 und 23 Uhr wurde dann im Rathaus von Herrn Grünberg der Aufruf an die Bevölkerung zum Weissbeflaggen der Stadt geschrieben, indem zugleich der Hergang mit der Schiesserei zwischen mir und Kittmann geschildert wurde. In diesem Aufruf wurde darauf hingewiesen, dass mit diesem Vorgang die NSDAP in Doberan ihr Ende gefunden hatte. Der Aufruf wurde unterschrieben von Grünberg, dem Volkssturmführer Bartsch und dem Studienrat Schlünz. Der Zettel wurde noch in der .............. (unleserlich). bracht.

[02.05.1945]:

Ich bin dann gegen 4 Uhr morgens im RAD-Lager gewesen, um mich davon zu überzeugen, dass das Lager wirklich geräumt sei. Es war inzwischen geräumt. Vom Arbeitsdienstlager ging ich wieder ins Rathaus und habe mich um meine Wache, die dort von mir aufgestellt war, gekümmert und neue Anweisungen gegeben.

Bis zum Einmarsch der Roten Armee am 2. Mai gegen 13 Uhr mittags habe ich das Rathaus nicht mehr verlassen. Gegen 15.30 Uhr fiel im Rathaus ein Schuss. Ich liess alles, was vor dem Rathaus stand, zurücktreten auf den Kamp, um zu beobachten, wer wohl den Schuss abgegeben hätte. Nach einer Weile kam dann der Polizeileutnant Strübing [Polizeileutnant o. -offizier] mit seinem Fahrrad aus dem Rathaus heraus. Er hatte den Schuss abgegeben. Ich liess ihn durch 3(?) Mann verfolgen. Strübing wurde von Soldaten der Roten Armee gestellt und an der Ecke der Jungfernstrasse erschossen.

Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben: / gez. Karl Schröder, Bad Doberan, 29.12.1945.

Vorstehende beglaubigte Abschrift stimmt mit der mir vorliegenden Urschrift wörtlich überein, welches ich hiermit beglaubige. Bad Doberan, den 31. Juli 1950.

Knaack / Notar in Bad Doberan.“

Quelle: Akte Stadtarchiv Bad Doberan ZS1298/1: Knaack, Friedrich (Notar): „Vorgänge am 01.05.1945. Aus-künfte von Schlachtermeister Karl Schröder“ (beglaubigte Abschrift / Original). 29.12.1945-31.07.1950.

 

Weitere Dokumente u. Bildmaterial für Publikation 1945 gesucht


Das zuvor aufgeführte und zahlreiche weitere Dokumente sollen in folgender Publikation veröffentlicht werden:

Martin Heider: Bad Doberan 1945 – Jahr des Zusammenbruchs und des Neuanfangs

Die Dokumentensammlung für das Jahr 1945 für Bad Doberan mit Heiligendamm und Althof hat derzeit einen Umfang von ca. 130 Seiten. Für die gesamte NS-Zeit und weiter bis Ende 1945 sind bereits rund 350 DIN-A4-Seiten Transkriptionen von Originaldokumenten, von Abschriften und Zeitzeugenberichten chronologisch zusammengetragen.

Nach umfangreichen Recherchen im Stadt- und Kreisarchiv, der UNI-Bibliothek Rostock, der Staatsbibliothek Berlin, sollen in den nächsten Monaten Archivalien aus dem Landeshauptarchiv Schwerin, dem Landeskirchlichen Archiv Schwerin und der Bibliothek des Friderico-Francisceum Gymnasium Bad Doberan folgen.

Derzeit werden Akten aus der zweiten Jahreshälfte 1945 transkribiert. Beschlagnahmungen, Entnazifizierung, Gewerbeanmeldungen, Aufrechterhaltung bzw. Wiederingangsetzung der Wirtschaft sind die vorherrschenden Themen. Über diese Zeit liegen bislang fast ausschließlich amtliche Akten vor, aber keine Zeitzeugenberichte, beispielsweise Tagebucheintragungen, die die persönliche Sicht und Erlebnisse der Menschen wiedergeben. Lebensläufe, wie dieser, in einer umfangreichen Akte des Stadtarchivs, zeugen von Flucht und Vertreibung.

Die Erfassung der Dokumente scheint zu diesem Zeitpunkt auch deshalb notwendig, da Zeitzeugen noch aktiv mitwirken können. Das Dokumentierte kann somit deutlich besser eingeordnet und durch bislang nicht dokumentierte Informationen ergänzt werden. Zudem sind verschiedene Originaldokumente in einigen der Archive mitunter stark ausgeblichen bzw. befinden sich teilweise auf älteren Datenträgern.

Weitere Dokumente und Informationen sind willkommen in der Münsterverwaltung, Kustos Martin Heider, Klosterstraße 2, 18209 Bad Doberan. E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein., Tel. 038203-779590.

Martin Heider

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