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90 Jahre Machtergreifung – Eine Chronologie für die Ereignisse in Bad Doberan (Auszüge)


plakat baedermuseum

Aus der Gesprächsrunde am 21.03.2023 im Stadt- und Bädermuseum Bad Doberan:


Auszüge aus der Bild- und Textpräsentation von Martin Heider (Bad Doberan).

s. auch den Beitrag in der OSTSEE-ZEITUNG in diesem Artikel. >

 

Wir erhielten die Rückmeldung, dass die o.g. Gesprächsrunde im Rahmen der Sonderausstellung von mehreren Interessenten nicht wahrgenommen werden konnte, aber Interesse an den Inhalten besteht. Daher hier wesentliche Textauszüge. Die meisten Abbildungen können aus bildrechtlichen Gründen hier nicht veröffentlicht werden. Voraussichtlich wird jedoch die Bild- und Textpräsentation samt Abbildungen und Quellenangaben in einer kleinen Auflage gedruckt.

nr 1

nr 2 Auszug 31.05.1931 aus der Pfarrchronik der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Bad Doberan

 

Die unten blau markierten Textpassagen stammen aus der Pfarrchronik der Ev.-Lutherischen Kirchengemeinde Bad Doberan, die weiteren Inhalte entstanden unter Verwendung von Zeitungsartikeln aus den Doberaner Nachrichten bzw. dem Buch von Hermann Langer: „Leben unterm Hakenkreuz“, 1996. Bislang unveröffentlicht waren die Auszüge aus der Pfarrchronik.

09.11.1923 – Hitlers „Bierkellerputsch“ in München scheiterte. Im nationalsozialistisch-völkischen Lager entstanden daher neue Gruppierungen.

25.11.1924 – Wahlpropaganda in Vorbereitung auf die Reichstagswahl am 07.12.1924 in den Doberaner Nachrichten (Abb. links).

Februar 1925 – Adolf Hitler gründete, vorzeitig aus der Haft entlassen, nach Aufhebung des Parteiverbots, die NSDAP neu.

25.07.-01.08.1925 – Bundestag der „Adler und Falken“ – einer rechtsextremen Jugendorganisation – in Bad Doberan – die Verführung begann.

14.09.1930Reichstagswahl

Mecklenburg-Schwerin: NSDAP 20,1 % (= zweitstärkste Partei nach SPD)

Bad Doberan (Auszug – vier führenden Parteien):

SPD 823 Stimmen

NSDAP 677 Stimmen (= 20 % der gültigen Wählerstimmen)

DNVP 624 Stimmen (Deutschnationale Volkspartei)

KPD 345 Stimmen

Reich: NSDAP im Vergleich zur letzten Wahl eine Steigerung von 0,8 auf 6,4 Mio. Wählerstimmen = spektakulärer Wahlerfolg

Oktober 1930: Gründung der Ortsgruppe Bad Doberan

Mai 1931: Bad Doberan hatte 560 registrierte Arbeitslose (wobei sich Frauen normalerweise nicht registrieren ließen)

31.05.1931 – „Stadtverordneten-Neuwahl, nachdem auf Antrag der Nationalsozialisten die bisherigen Stadtverordneten zurücktraten. Es wurden 2778 Stimmen abgegeben. Davon entfielen:

Liste 1. Sozialdemokraten  523 Stimmen 3 Sitze
2. Communisten  405 Stimmen 2 Sitze
3. Unpolitische Bürgerliste  633 Stimmen 3 Sitze
4. Nationalsozialisten  991 Stimmen 6 Sitze
5. Beamten u. Verbraucher 226 Stimmen 1 Sitz

Wahlbeteiligung 71,3%“

30.05.1931 – Am Tag vor der Stadtverordneten Neuwahl

Öffentliche „Massenversammlung“ der NSDAP im „Lindenhof“ Bad Doberan

Die Auflösung der Stadtverordnetenversammlung durch Volksbegehren und Volksentscheid war ein geschickter Schachzug, denn zuvor hatte die NSDAP keine Sitze im Stadtparlament, nun sechs.

NSDAP

Reichstagswahl 14.09.1930: 677 Stimmen

Stadtverordnetenwahl nun: 991 Stimmen

NSDAP nutzte diesen Erfolg in Bad Doberan nun als Propaganda auf Landesebene.

19.07.1931: Demonstration der Arbeiterschaft in Bad Doberan – Der „Kampf um die Straße“ gehörte noch weitgehend der organsierten Arbeiterschaft von Sozialdemokraten und der KPD. Die NSDAP malte das Gespenst der kommunistischen Bedrohung und gab sich als Verfassungsschützerin. Die SA (Sturmabteilung) machte gegen die Arbeiterschaft mobil.

07.08.-29.10.1931

Aktionen der SA (Sturmabteilung)

Bad Doberan (Abb. links)

27.09.1931: „Zum Bürgermeister von Doberan wird gewählt Rechtsanwalt Barten. Barten erhielt 1473 Stimmen in der Stichwahl. Bürgermeister Bergmann-Schwaan 971 Stimmen. Ausschlag gaben dabei die Nationalsozialisten. Wahlbeteiligung 65 %.“

31.10./01.11.1931: „In der Nacht zwischen 3 u. 4 Uhr kam es beim Knittelschen Hause in der Alexandrinenstraße [Mollistraße] zu einem Handgemenge zwischen dem Nationalsozialisten, Ingenieur Walter Gädicke u. zwei Kommunisten: Heinrich Klöcking u. Blohm. Es fielen 4 Schüsse, durch welche beide Communisten getötet und Gädicke schwer verletzt wurde. Die Beisetzung der beiden Kommunisten fand am 4. Nov. unter ungeheurem Andrang von Kommunisten aus Rostock u. allen anliegenden Orten statt (wohl 1000 Personen). Auf Wunsch der Familienangehörigen wurde die Beerdigung kirchlich vollzogen.“

06.03.1932 – „½ 6 Abendmahlsfeier der geschlossen erschienenen Nationalsozialisten in der Kirche.“

1932 – Die Wirtschaftskrise hält an. Bad Doberan hat 515 männliche und 50 weibliche Arbeitssuchende.

13.03.1932: Erhielt Paul von Hindenburg bei der Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 auf Reichsebene die meisten Stimmen (18,6 Mio.), gefolgt von Adolf Hitler (11,3 Mio.) und Ernst Thälmann (4,9 Mio.), führte in Bad Doberan Hitler (1.650) deutlich vor Hindenburg (1.150):

„Reichspräsidentenwahl. Gesamtstimmen:

  Hindenburg, Duesterberg, Hitler, Thälmann, Winter
im Reich 18,659304 2½ Mill 11,325873 4,9 Mill 111 tausend
Doberan 1150 Stimmen 409 Stimmen 1650 Stimmen 363 St. 11 St.

Die Wahl ist richtig verlaufen.“

14.04.1932: Auch im zweiten Wahlgang am 10. April 1932 änderte sich bei höherer Wahlbeteiligung wenig am Stimmenverhältnis:

„Reichspräsidentenwahl. 2te Wahlgang

  Hindenburg,  Hitler, Thälmann,
im Reich 19,359624 13,417460 3,706388
Doberan 1350 Stimmen 1916 Stimmen 253 Stimmen

Die Wahl ist richtig verlaufen.“

15.05.1932 – „Der nationalsozialistische Antrag auf Auflösung des Doberaner Stadtparlaments hat mit 1100 Stimmen der Bürger Doberans gesiegt. Es muß eine Neuwahl der Stadtverordneten ausgeschrieben werden.“

31.07.1932 – „Die Reichstagswahl nahm in Doberan ruhigen Verlauf. Es wurden in Doberan abgegeben:

Sozialisten  Nationalsz.  Kommunisten  Zentrum  deutschnational Splitterparteien
848 1854 362  16 410 kl. Summen.“

31.07.1932: Wahl der Stadtverordneten von Doberan:

Sozialisten Nationalsz. Kommunisten Zentrum deutschnational Splitterparteien
4 10 1 - - -

15.08.1932: Adolf Hitler wird Ehrenbürger von Bad Doberan:

„Als Zeichen des Dankes nach dem Siege hat Doberan als erste deutsche Stadt im Sommer 1932 seinem Führer die höchste zu vergebende Ehrung ausgesprochen. Der Führer zeichnete die Stadt dadurch aus, daß er das Ehrenbürgerrecht der Stadt Bad Doberan annahm. Er hatte wiederholt Doberan-Heiligendamm besucht. Die schönste Straße von der Stadt nach dem Heiligen Damm erhielt den Namen Adolf-Hitler-Straße [Dammchaussee].“ (Quelle: Buch Sebastian HEIßEL 1939, S. 248.)

Dringlichkeitsantrag der NSDAP in Stadtverordnetenversammlung

NSDAP forderte a) „dem Führer der NSDAP Herrn Adolf Hitler, das Ehrenbürgerrecht der Stadt zu verleihen“, b) eine Straße nach ihm zu benennen und c) zwei Tage lang das Rathaus zu beflaggen — „zum sichtbaren Zeichen dieser Ehrung“

Der Antrag kam mit zehn Stimmen bei fünf Enthaltungen durch

Bad Doberan beanspruchte für sich, die erste Stadt in Deutschland zu sein, die Adolf Hitler zum Ehrenbürger ernannt hat. Auch Coburg beanspruchte dies.

Nach jüngeren Kenntnissen war Bad Doberan der elfte Ort (s. lange Liste bei Wikipedia).

Bad Doberan verfügte vor 1933 über die erste Adolf-Hitler-Straße (Stand LANGER 1996)

1986 stießen verantwortliche Stellen im Rahmen des 800jährigen Ortsjubiläums darauf und tilgten diesen Schandfleck! – Ein entsprechender Stadtvertreterbeschluss wurde nach Medienberichten am 02.04.2007 gefasst, im Vorfeld des GA-Gipfels in Heiligendamm, offenbar ohne Kenntnis der Initiative von 1986.

04.11.1932: Werbezettel für Kundgebung der Eisernen Front (Schutzorganisation der SPD)

im „Schützenhof“ Bad Doberan. Mit Erich Ollenhauer, Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiterjugend.

06.11.1932: „Wahlschlappe der NSDAP

Reichstagswahl 31.07.1932 1.854 Stimmen

Reichstagswahl 06.11.1932 1.328 Stimmen

30.01.1933: Der altersmüde Reichspräsident Paul von Hindenburg vereidigt seinen siebten Kanzler, Adolf Hitler. Auch in Bad Doberan feierte man den Anbruch des „Dritten Reichs“. In aller Eile organisierte die Ortsgruppe der NSDAP gemeinsam mit dem SA-Sturm 21/90 einen Fackelzug. Überall sammelten sich zahlreiche Passanten, die den Zug begeistert begrüßen.

19.02.1933: „Bei Gelegenheit von großen Demonstrationszügen der KPD, SPD u. der NSDAP kam es ½ 7 Uhr zu einem schweren Zusammenstoß zwischen den Sozialdemokraten und Nationalsozialisten. An der Ecke der Post- [Severinstraße] u. Bismarckstraße [Goethestraße] begann es. Dort gelang es dem Bürgermeister, die Parteien auseinander zu bringen. Aber an der Friedhofstraße und Schützenplatz kam es zu einer heftigen Schießerei, bei welcher der Arbeiter Ernst Wolff 38 Jahre alt, durch Herzschuß getötet wurde und 8 Schwerverwundete in die Klinik nach Rostock abgebracht wurden.“

20.02.1933 – „Kam es zu einer Schießerei vor dem Arbeitsamt ½ 3 Uhr an der Kröpeliner Straße. Hierbei gab der Stadtverordnete v. Renteln (NSDAP) 2 Schüsse ab, durch die ein Mann durch Streifschuss verletzt wurde. V. Renteln wurde dann schwer geschlagen.“

23.02.1933: „Fand nachmittags die Beerdigung des erschossenen [Sozialdemokraten] Wolff von der Wohnung seiner Eltern Neue Reihe 49 aus statt. Es waren vielleicht 1500 Reichsbannerleute von allen Seiten zu einer Trauerdemonstration erschienen. Doch verlief alles ruhig dank der starken polizeilichen Vorkehrungen, zu der „Sipo“ aus Rostock, Schwerin und Wismar beordert war. Jedes Lastauto mit Eintreffenden wurde auf Waffen untersucht. Ein Auto mit Communisten aus Wismar wurde unter polizeilicher Bedeckung sofort nach Hause geschickt. Sämtliche Doberaner Kommunisten wurden aus dem Geleitzug entfernt. Der ganze Zug wurde von der Sipo geleitet und alle Teilnehmer wurden vom Friedhof weg gezwungen, sofort abzufahren. Auf dem Friedhof wurde Publikum überhaupt nicht zugelassen. Es amtierte Pastor Walter unter Assistenz von Hilfsprediger Ehlers.“

05.03.1933: Reichstagswahl

Bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 erhielten sowohl in Bad Doberan, in Althof sowie im Deutschen Reich die meisten Stimmen und Mandate die Nationalsozialistische Partei Deutschlands (NSDAP), gefolgt von den Sozialdemokraten:

"Stimmen Doberan Althof Im Reich
NSDAP 1736 18 17.264.323
SPD 829 12 7.176.226
KPD 301 2 4.460540
Zentrum 13 - 4.289359
Schwarz-Weiß-Rot 712 9 3.131.336
Volkspartei 20 - 431.880
Chr.-Soc. Volkspartei 14 1 382.035

 

Mandatsstärke der Hauptparteien: Nationalsozialisten 288 Mandate, Sozialdemokraten 120, Kommunisten 79, Zentrum 71, Schwarz Weiß Rot 52, Bayrische Volkspartei 20.“

21.03.1933: „Reichsgründung in Berlin. Doberan geflaggt. Geschäfte geschlossen. Schulfrei. Überall Schulfeiern. Überall Rundfunkübertragungen aus Potsdam. Abends Illumination aller Fenster u. Fackelzug durch die Stadt.“

01.05.1933: Tag der nationalen Arbeit. ½ 11 Festgottesdienst auf dem Drümpel: Landessuperintendent Behm. Kirchenchor, Posaunenchor. (…)

Nachm. 5 Uhr Umzug aller Behörden, Vereine, Schüler etc. durch die Stadt. Flaggen sämtlicher Gebäude, sowie der Kirche und der Kl.[oster] Gebäude.


Quellen:

Pfarrchronik der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Bad Doberan.

Doberaner Nachrichten

Buch – Hermann Langer: „Leben unterm Hakenkreuz“, 1996.

Buch – Sebastian HEIßEL: Bad Doberan – Heiligendamm, 1939


Recherche und Zusammenstellung: Martin Heider (Bad Doberan)

 

nr 3

07.08.-29.10.1931
Aktionen der SA (Sturmabteilung) Bad Doberan

nr 4

Ansichtskarte um 1930/40, Archiv Münsterverwaltung

nr 5

Auszug aus der Pfarrchronik der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Bad Doberan

nr 6

Doberaner Nachrichten Ende April 1933 – Reproduktion Ostsee-Zeitung 16.01.1993.

 

 

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