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Ältester Flügelaltar der Kunstgeschichte?


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In verschiedenen Zeitungen erschienen kürzlich Beiträge über den Hochaltar in der Klosterkirche Cismar (Ostholstein), in denen dieser vom dortigen Leiter als der "definitiv" älteste Flügelaltar bezeichnet wurde. Mit derart definitiven Aussagen sollte grundsätzlich vorsichtig umgegangen werden, nicht nur in Bezug auf Cismar. 

 

So erschien unter anderem ein Beitrag in der Mecklenburgischen & Pommerschen Kirchenzeitung, vom 13. Januar 2019, S.18 unter dem Titel "Der Schatz hinter der Glastür". In diesem Artikel von Nadine Heggen und mit fast gleichlautendem Inhalt in der „Neuen Kirchenzeitung des Erzbistums Hamburg“ äußert der Leiter des Klosters Cismar die definitive Feststellung, dass es „einen älteren Flügelaltar … definitiv nicht“ gibt. Dies stieß bei verschiedenen Personen und Institutionen auf Unverständnis und Widerspruch. Dazu gehörte Dr. Gerhard Schmager, Münsterführer in Bad Doberan, der sich dankenswerterweise schriftlich an die Kirchenzeitungen wendete.

 

Er schreibt u.a.: "Nach heutigem Erkenntnisstand sind der Doberaner Hochaltar (um 1300 - Abb.) und der Havelberger Altar in Rossow (1310-1320) älter als derjenige von Cismar. (...) Dieses Hochaltarretabel, wie es Norbert Wolf [2002] in seiner Monographie über „Deutsche Schnitzretabel des 14. Jahrhunderts“ bezeichnet, gehört zu der einzigartigen Ausstattung des Doberaner Münsters, das sich 2013 um Aufnahme in das Weltkulturerbe beworben hatte. Im entsprechenden Welterbe-Antrag [2012] urteilen in der Fachwelt ausgewiesene Experten: „Als dem ältesten erhaltenen Flügelretabel kommt dem Doberaner Hochaltarretabel eine einzigartige Bedeutung in der Geschichte dieses später so bedeutenden liturgisch-repräsentativen Kirchenmöbels zu (S.9)“.

Hinsichtlich der Datierung des Doberaner Hochaltars verweist er auf folgende Zitate in der Monographie von Norbert Wolf [2002], S.7 – „Das älteste Schnitzretabel, das aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts erhalten geblieben ist, steht noch heute auf dem Hochaltar der ehemaligen Zisterzienserabteikirche Doberan in Mecklenburg“. Wolf, S. 24: „Die Fertigung des Retabels kann durchaus bereits um oder kurz nach 1300 erfolgt sein, wie es sich auch ohne weiteres mit den im folgenden Abschnitt zu behandelnden Baudaten der Klosterkirche verträgt.“

In jüngerer Zeit befassten sich mehrere Untersuchungen mit Bau und Ausstattung des Doberaner Münsters (s. hierzu „Die Ausstattung des Doberaner Münsters“, 2018). Fundamentale, geradezu sensationelle Erkenntnisse lieferten die dendrochronologischen Untersuchungen von Dr. Tilo Schöfbeck [2014]. Bereits um 1295 war der Rohbau des hochgotischen Münsters mit Dachstuhl fertig gestellt. Wolf konnte in seiner Monographie diese Ergebnisse dendrochronologischer Untersuchungen des Doberaner Münsters nicht berücksichtigen, da sie zu dieser Zeit noch nicht durchgeführt waren.

Aber Wolf (S. 26) meint auch: „Eine Datierung des Retabels in die Jahre um oder kurz nach 1300 würde jedenfalls gut zum Bild einer Gesamtplanung passen, die sich in Doberan von Anfang an als vollkommen durchdacht erweist“. Heute besteht in der Datierung des Doberaner Flügelaltars Konsens, dass dieses Retabel um 1300 entstanden ist, also deutlich früher als dasjenige von Cismar (um/nach 1320). Ebenfalls haben dendrochronologische Untersuchungen zutage gefördert, dass das Rossower (Havelberger) Retabel zwischen 1310 und 1320 entstand und damit älter als das Cismarer Retabel ist (s. Wolf-Dietrich Meyer-Rath, 2018).

G.S. / M.H.

 

 

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